Nachlese: Botanische Wanderung im Ihlower Wald
Bericht: Friedrich Freudenberg vom 12.08.23
Bericht über eine botanische Wanderung im Ihlower Wald am 1. Juli 2023
Auf dem Parkplatz im Norden des Ihlower Waldes hatte sich eine kleine Gruppe von sieben botanisch interessierten Personen eingefunden, um mit mir die Pflanzenwelt dieses einzigartigen Waldgebiets zu erkunden. Im Gegensatz zu den meisten anderen Wäldern in Ostfriesland ist der Ihlower Wald ein historisch alter Wald, der überwiegend aus Laubbäumen besteht und mehrere unterschiedliche Waldstandorte mit unterschiedlichen Pflanzengesellschaften aufweist. Aufgrund seiner besonderen Vielfalt an natürlichen Lebensräumen für Pflanzen und Tieren wurde der Ihlower Wald im Jahr 2019 unter Naturschutz gestellt.
Ich hatte eine Wanderroute vorbereitet, die durch verschiedene Waldgebiete führte. Dabei galt es vor allem, mit der Gruppe solche Pflanzen zu entdecken, die charakteristisch für den jeweiligen Waldstandort sind und besonders solche, die in Ostfriesland als selten und schützenswert einzustufen sind. Neben der Erkundung solcher bemerkenswerter Pflanzenarten - im Folgenden fett gedruckt - bot sich auch an mehreren Orten die Gelegenheit, auf neuere forstwirtschafliche bzw. forstökologische Entwicklungen einzugehen.
1. Das nordwestliche Waldgebiet und die südlich Umgebung der Klosterstätte
Auf dem Weg, der von dem Parkplatz zur Stätte des ehemaligen Klosters führt, durchquerten wir den für große Teile des Ihlower Waldes charakteristischen Laubwald aus Buchen und Eichen. Der Weg wird von üppigen Beständen schattenliebender Waldpflanzen gesäumt, die auf dem feuchten, lehmigen Boden gut gedeihen: Echte Nelkenwurz, Stinkender Storchschnabel und das in anderen Wäldern Ostfrieslands seltener vorkommende Hexenkraut. In diese Gesellschaft dringt seit ein paar Jahren das rotviolett blühende Drüsige Springkraut ein. Dieser aus Indien stammende Neuankömmling besitzt besondere Vorrichtungen, dass die Fruchtkapseln, wenn sie reif sind oder wenn man sie berührt, explosionsartig aufspringen und die Samen weit in die Umgebung geschleudert werden. Dadurch kann er sich schnell verbreiten und heimische Arten verdrängen. Das gilt auch für das gelb blühende Kleine Springkraut, das hier vereinzelt vorkommt, an anderer Stelle im Ihlower Wald aber bereits ganze Wegränder einnimmt.
Der Wald rechts des Weges ist Teil einer 28 Hektar großen Fläche, die von den Niedersächsischen Landesforsten als Naturwald ausgewiesen wurde. Abgestorbene Bäume und am Boden liegendes Totholz lassen erkennen, dass hier der Wald nicht mehr forstwirtschaflich genutzt wird und sich somit natürlich entwickeln kann.
Am Boden des Naturwaldes erkennt man überall noch die sog. Wölbäcker, lange, gewölbte, ehemalige Ackerbeete aus der Zeit, als hier die Mönche und Laienbrüder des Klosters Ackerbau betrieben. Solche Wölbäcker, die auch südlich der Klosterstätte zu sehen sind, sind durch eine bestimmte Art des Pflügens entstanden. Der Boden wurde mit Plaggen gedüngt. Somit bestehen große Teile des heutigen Waldes aus humusreichen, fruchtbaren Böden.
An einer Wegkreuzung im Bereich der alten Lindenallee südlich des Forsthauses stießen wir auf zwei weitere bemerkenswerte Pflanzenarten, den Waldmeister und den Wald-Schachtelhalm.
Der Waldmeister ist zwar hin und wieder als Gartenpflanze zu finden, wildwachsend kommt er bei uns aber höchst selten vor. Vor einigen Jahren gab es hier noch einen größeren Bestand, der aber vermutlich durch den Ausbau der Wege mit Schotter und die Neuanpflanzung von Linden bis auf einen kleinen Rest verschwunden ist. Der Wald-Schachtelhalm hat sich dagegen gut behaupten können, indem er sich an die feuchten Grabenränder zurückgezogen hat. Von diesem seltenen Schachtelhalm gibt es aber in Ostfriesland nur noch sehr wenige Standorte. Durch einen Vergleich mit dem Acker-Schachtelhalm konnten wir feststellen, wie zart sich der Wald-Schachtelhalm mit seinen feinen, vielfach verzweigten, überhängenden Ästchen anfühlt.
Die bereits im 16. Jahrhundert nach der Auflösung des Klosters von den ostfriesischen Grafen des Hauses Circsena angelegte Lindenallee ist bis heute erhalten geblieben. Sie führt vom heutigen Forsthaus nach Süden in die Bachniederung des Krummen Tiefs und ist von sehr alten Linden gesäumt. Am Ende des Weges gelangten wir an ein Waldgebiet, in dem junge Bäume wie Birken und Erlen sowie andere an sumpfiges Gelände angepasste Arten zu sehen waren. Es handelt sich hier um die ersten Ergebnisse eines von den Niedersächsischen Landesforsten durchgeführten Renaturierungsprojekts. Ein ehemals auf moorigem Boden angelegter Fichtenwald wurde entfernt und das Gelände durch Schließen der Gräben wieder vernässt. So wurde der ehemalige Zustand eines ökologisch wertvollen Feuchtgebiets nach über vierzig Jahren wieder hergestellt.
2. Der Ostteil des Ihlower Waldes
Von der Lindenallee führt ein Weg nach Osten zum Weißen Weg, der die Grenze zwischen dem Westteil und dem Ostteil des Ihlower Waldes bildet. Wir gingen auf dem Weißen Weg in nördliche Richtung, bis wir auf der Höhe der Klosterstätte an eine große Wegkreuzung gelangten, den sog. Hexentanzplatz. Vom Weißen Weg aus konnten wir bereits feststellen, dass im Ostteil des Waldes besondere Pflanzengesellschaften zu entdecken sind, die woanders in dieser Ausprägung kaum noch vorkommen. Der Boden ist feucht und moorig. In der Baumschicht überwiegen Erlen, darunter wachsen hohe Brennnesseln und erstaunlich viele Büsche der Schwarzen Johannisbeere.
Am Rand des Waldes rankt sich der Hopfen an Büschen und Bäumen empor. Alle diese Pflanzen sind charakteristisch für einen Erlenbruch-Wald bzw. Auenwald. Vermutlich wurde dieser Wald früher bei hohen Wasserständen des Krummen Tiefs öfter überflutet.
Um den botanisch sehr interessanten Ostteil genauer zu erkunden, gingen wir vom Hexentanzplatz weiter nach Osten in den Wald hinein. Auch wenn man die inneren Bereiche des Waldes aus Grün- den des Naturschutzes nicht betreten darf, bieten sich doch auch hier vom Weg aus gute Möglichkeiten, die dort vorhandenen Pflanzen zu erkennen.Viele der bemerkenswerten Arten findet man ohnehin an den Wegrändern und im Bereich der Seitengräben. So entdeckten wir gleich am Anfang am Wegrand den Riesen-Schwingel und den Hain-Gilbweiderich. Der Riesen-Schwingel ist eine anspruchsvolle Grasart, die in anderen Wäldern nur selten zu finden ist. Er ist an seinen dunkelgrünen, glänzenden, bis zu 2 cm breiten Blättern leicht zu erkennen. Der Hain-Gilbweiderich wurde hier erst 2014 von mir entdeckt. Es dürfte sich um den einzigen Standort dieser Pflanzenart in Ostfriesland handeln.
Nach einigen hundert Metern erreichten wir das Gebiet des in Ostfriesland einzigartigen Erlen-Eschen-Sumpfwaldes. Durch Quellwasseraustritte und frühere Überschwemmungen hat sich hier ein sumpfiger Boden entwickelt, der teilweise aus Niedermoortorf sowie aus fruchtbaren Sedimenten besteht. An den Wegrändern und Gräben fanden wir viele Blütenpflanzen, die für einen solchen Lebensraum charakteristisch sind: Wasserdost, Wald-Engelwurz, Mädesüß und der Echte Medizin-Baldrian.
Leider mussten wir feststellen, dass sich hier der Wald gegenwärtig stark verändert. Dort, wo noch vor wenigen Jahren viele Eschen das Waldbild bestimmten, sind größere Flächen wie nach einem Kahlschlag aufgelichtet und zerstört worden. Wie überall sonst in Europa ist auch dieser Wald durch das von einem Pilz verursachte Eschentriebsterben stark geschädigt. Vielleicht kann die Flatter-Ulme, eine Baumart, die hier vor einigen Jahrzehnten von einem Förster angepflanzt wurde, künftig einen gewissen Ausgleich für die fehlenden Eschen bieten. Von der Flatter-Ulme gab es noch einige Altbäume im Ihlower Wald, und wir konnten uns davon überzeugen, dass diese neu angepflanzten Bäume hier gut gedeihen. Während die anderen Ulmenarten durch das Ulmen-sterben stark dezimiert wurden, hat sich die Flatterulme gegen diese Krankheit als weitgehend resistent erwiesen.
3. Der Wald unmittelbar östlich und nördlich der Klosterstätte
Wir verließen den Ostteil des Waldes und gingen zurück zu der großen Wegkreuzung, von der aus der Weg weiter bis zur Klosterstätte führt. Gleich am Anfang trafen wir auf eine Pflanze mit einer auffälligen Wuchsform, einem Horst aus schlaffen, überhängenden Stängeln mit kleinen, weißlichen Ährchen. Es handelt sich um die seltene Winkelsegge, eine Pflanze, deren Vorkommen bisher im Ihlower Wald nicht bekannt war.
Im weiteren Verlauf des Weges sahen wir drei weitere bemerkenswerte Arten. Der Rippenfarn wächst an einem schattigen Wuchsort an einer steilen Grabenböschung. Im Uferbereich des Klostergrabens gibt es seit Jahren einen schönen Bestand des Taumel-Kälberkropfs, eines Doldenblütlers, dessen Name sich von den verdickten Knoten des Stängels ableitet und von seiner Giftwirkung, die er auf Tiere ausüben soll. In dem Klostergraben in der Nähe der ehemaligen Klosterkirche entdeckten wir den Bittersüßen Nachtschatten, ebenfalls eine giftige Pflanze, mit blauvioletten Blüten, aus denen die auffallend gelben Staubbeutel hervorragen. Die Beeren sind später scharlachrot.
Nördlich des Klosters liegen drei ehemalige Fischteiche aus der Klosterzeit. Während der erste Teich offen gehalten wird, sind die beiden anderen verlandet. Sie zeigen die typische Vegetation eines Niedermoores mit einem Gebüsch aus Weiden und mit Sumpfpflanzen wie der Sumpf-Schwertlilie und der seltenen Rispen-Segge, eine unserer größten Seggenarten. Neben diesen Sumpfpflanzen fanden wir auch kleine Bulten von Torfmoos. Das bedeutet, dass hier bereits eine Entwicklung vom Niedermoor zum Hochmoor stattfindet.
Am Ende unserer Wanderung gingen wir auf einem Fußweg durch ein besonders schönes, naturbelassenes Waldgebiet zum Parkplatz. Dieser Wald besteht überwiegend aus alten Buchen und Eichen. An mehreren abgestorbene Bäumen, die am Boden liegen oder noch stehen, haben sich interessante Pilze mit zum Teil vieljährigen, halbtellerförmigen Fruchtkörpern entwickelt. Aber auch an lebenden Bäumen haben sich viele Pilze angesiedelt. Leider hatten wir nicht mehr die Zeit, dieses interessante Waldgebiet näher zu erkunden.
Hopfen verlandeter Fischteich
Rippenfarn Winkel-Segge